Abby Johnson zu Besuch in Memmingen Mai 2015
Im Memminger Kaminwerk berichtete Abby Johnson, ehemalige Leiterin einer Abtreibungsklinik in den USA, von ihren Erfahrungen.
In der Abtreibungsdebatte der 80er Jahre war Memmingen ein heißes Pflaster. Dort fand ab 1988 ein Prozess gegen Horst Theissen wegen illegaler Abtreibungen statt, viele betroffene Frauen mussten aussagen. Damals wurde die Stadt zum Zentrum von Protesten, Demonstrationen und Gegendemonstrationen. Daran erinnerte Josef Miller, Staatsminister a.D., in seinem Grußwort bei dem Vortrag der amerikanischen Lebensrechtlerin Abby Johnson, die am vergangenen Freitag auf Einladung des Lebensrechtsverbandes „Aktion Lebensrecht für Alle“ (ALfA) e.V. in dem mit fast 500 Besuchern überfüllten Memminger Kaminwerk sprach. Am Eingang gab es Brezeln in einer Tüte einer Bäckerei, darauf das Menschenrechtslogo „Ich bin Mensch“. Zur Einführung ließ Maria Schmölzing, Organisatorin des Abends, dieses neue Logo und das Buch „Baby im Bauch“ vorstellen.
Abby Johnson wurde 2009 in den USA bekannt, als sie nach acht Jahren Arbeit für Planned Parenthood (PP) Lebensrechtlerin wurde. Wie sie berichtete, warb PP sie als ehrenamtliche Studentin an. Sie studierte Psychologie, wurde angestellt und stieg zur Leiterin einer PP-Einrichtung auf. Die politische Linie wurde von Abby Johnson so geschildert: Frauen sterben an illegalen Abtreibungen, wir wollen den Frauen helfen und sichere Abtreibungen durchführen. Der Fötus fühlt vor der 28. Schwangerschaftswoche nichts. Das, so Johnson, habe sie sich auch eingeredet, als sie selbst zwei Schwangerschaften durch Abtreibung beendet habe. In der Diskussion gefragt, wie man glauben könne, dass ein so großes Kind nichts fühle, gab die Lebensrechtlerin zu, eigentlich keine klare Antwort darauf zu haben: „Wenn man das Kind will, ist es ein Kind. Wenn nicht, muss man sich emotional von dem Kind lösen und es als Gewebe definieren, sonst kann man nicht abtreiben.“ So hätten auch die Frauen in ihrer Beratung ihr einfach geglaubt.
Die ersten Bedenken kamen ihr, als PP eine Einrichtung mit 75 Abtreibungen täglich (bis zum sechsten Schwangerschaftsmonat) bauen wollte. Da Johnson wusste, dass Kinder ab der 23. Woche überleben können, war sie mit so späten Abtreibungen nicht einverstanden; es kamen ihr erste Zweifel an der Redlichkeit von PP. Dann erhielt Johnson die Anweisung, die Abtreibungszahlen in ihrer Einrichtung zu verdoppeln. Auf ihre Nachfrage hin sagte die Vorgesetzte: „Abortion is how we make our money.“ – Mit Abtreibung verdienen wir unser Geld. Ein weiteres Negativ-Erlebnis folgte kurze Zeit später: In den USA wird vor der Abtreibung ein Ultraschallgerät eingesetzt, um Alter und Lage des Kindes festzustellen und den Preis festzulegen (von 300 Dollar in der 12. Woche bis zu 30 000 Dollar wenige Wochen vor der Geburt). Dann, so Johnson, schalte man das Gerät meistens ab, um zu vermeiden, dass die Frau das Kind sieht. Da andere Ärzte auch die Abtreibung per Ultraschall überwachen, um Schäden für die Frauen zu minimieren, schlug sie ihrem Arbeitgeber vor, dieses Vorgehen in PP-Einrichtungen einzuführen. Der Vorschlag wurde abgelehnt, denn damit würde jede Abtreibung 5 Minuten länger dauern – das hieße weniger Abtreibungen und weniger Einnahmen.
Für ihr Damaskus-Erlebnis sorgte ein auswärtiger Arzt, der in ihrer Einrichtung aushalf. Da er ultraschallkontrollierte Abtreibungen vornahm, bat er Abby Johnson, den Ultraschallkopf zu halten. Und dann sah sie diesen nichts fühlenden Fötus, das Gewebe: Ein etwa 12 Wochen altes, perfektes Kind. Sie sah, wie das Kind reagierte, als der Arzt die Kanüle einführte und an der Seite des Kindes ansetzte: Es wehrte sich, bewegte sich, wollte fliehen. Abby Johnson starrte auf diesen Bildschirm, bis er leer war. In die darauffolgende betretene Stille des Publikums hinein fängt ein Mädchen an zu weinen.
Alles, so Johnson, was sie geglaubt, vertreten und den Frauen gesagt habe, sei eine Lüge gewesen. Sie hatte bei 20 000 Abtreibungen mitgeholfen, Frauen falsch beraten, ihnen eine Lösung angeboten, die keine war. Wo sollte sie jetzt hingehen, wem sich anvertrauen? Ihr Mann sei immer pro-life gewesen und sie wollte von ihm nicht hören: „Siehst Du, das habe ich Dir doch gesagt.“ Ihre Freunde waren alle im Abtreibungsgeschäft tätig. Die einzigen, die ihr einfielen, waren die Lebensrechtler, die täglich vor Planned Parenthood standen, für Frauen, Kinder und das Personal beteten, immer freundlich und hilfsbereit waren. Die Coalition for Life, deren Vertreterin Heather Gardner mit nach Memmingen gekommen ist, nahm sie tatsächlich auf und half ihr. Seitdem ist Johnson für diesen Verein tätig und hält, neben ihrer Beratungstätigkeit für Frauen, etwa 80 Vorträge im Jahr, um die Menschen über die Machenschaften von Planned Parenthood aufzuklären; PP würde nicht nur an Abtreibungen viel Geld verdienen (ein Drittel aller Abtreibungen in den USA, pro Jahr um die 330 000, werden in PP-Einrichtungen vorgenommen), sondern oft auch das Gewebe der abgetriebenen Kinder für Forschungszwecke verkaufen. Die Vorträge, so Johnson, seien möglich, weil PP den Prozess gegen sie verloren habe. Sie sollte zum Schweigen gebracht werden. Im Augenblick laufen zwei von ihr initiierte Prozesse gegen PP wegen Betrugs und medizinischen Fehlverhaltens. Frauen, so Johnsons Fazit, verdienen etwas Besseres als Planned Parenthood und das deutsche Pendant „Pro Familia“.
Das Publikum folgt dem Vortrag konzentriert, manchmal schockiert, gelegentlich irritiert, wenn die fünffache Mutter, inzwischen Katholikin, wie es in den USA normal ist, über Glaube, Sünde, Beichte oder Gott spricht. In der langen Fragerunde zeigt sich, dass viele mehr wissen wollen, über die Lage in den USA, das Post Abortion Syndrome, die unverständliche Haltung von Regierungen, das Verhältnis von pro-life zu pro-choice.
Nach dem Ende der von Michael Seber mit Marimbaklängen passend umrahmten Veranstaltung gibt es noch viele Fragen, die Abby Johnson mit Hilfe ihrer souveränen Dolmetscherin Cornelia Kaminski geduldig beantwortet. Das überzeugende Signal des Abends, nicht rein zufällig aus Memmingen, lautet: Abtreibung ist keine Lösung.
(Die Tagespost, 19.5.2015, Alexandra Maria Linder)